Interview with Birgit Beer, ORPHEUS Magazin

Die Sopranistin Birgit Beer wurde in Lübeck geboren, ist in Wien aufgewachsen und lebt heute in London. Seit ihrem Debüt in der Rolle der Papagena in Augsburg war sie an zahlreichen großen Häusern wie Wien, Berlin, München, Dresden oder Hamburg oder bei wichtigen Festivals wie den Salzburger Festspielen oder Verona tätig. Von 1992-1997 war Birgit Beer festes Ensemblemitglied der Oper Bonn, und danach von 1997-2000 in Essen. Sie arbeitete mit Dirigenten wie Sir Georg Solti, Renato Palumbo, Stefan Soltesz, Antonio Guadagno, Ralf Weikert oder Roberto Abbado zusammen. Heute ist Birgit Beer weltweit freiberuflich als Opern- und Konzertsängerin tätig und zur Zeit an der Wiener Volkoper als Wiener Blut „Gräfin“ zu hören.

Sie haben schon sehr früh wichtige Partien gesungen, ohne vorher Gesangsunterricht gehabt zu haben. Später hat dann Renate Holm eine wichtige Rolle in Ihrer Karriere gespielt...

Die zwei Gesangslehrerinnen, die mich am meisten geprägt haben, waren Renate Holm und Hanna Ludwig. Renate Holm war eigentlich meine erste Lehrerin. An der Musikhochschule hatte ich vorher nur italienisch und fechten gelernt, was mir zu diesem Zeitpunkt eigentlich entgegen kam. Meine ersten Partien am Raimundtheater, in Saarbrücken und Augsburg habe ich damals nur mit Naturstimme gesungen. Renate Holm hat für mich das grundlegende technische Element gelegt und mir Disziplin beigebracht. Sie konnte mir gerade zur Operette sehr viel Stilistisches sagen, und ich werde mich jetzt beim „Wiener Blut“ an der Wiener Volksoper gerne wieder von ihr beraten lassen. Hanna Ludwig hat meine Stimme dann für lyrische Partien geöffnet, ihre Lehrmethode ist ganz speziell, sehr esoterisch, sie ist quasi mein Guru. Aber ich habe beiden Damen sehr viel zu verdanken.

Welche Rolle spielte ihre Naturstimme bei der Ausbildung zur Opernsängerin?

Ich würde sagen, die Naturstimme, die eigene Veranlagung, die eigene Physiognomie der Kehle macht etwa 60 % bei einem guten Sänger aus. 40 % sollten wirklich fundiertes technisches Wissen sein. Ich habe am Anfang die Königin der Nacht, das Blondchen oder die Gräfin im Figaro alle mit Naturstimme gesungen, obwohl ich mich bei der Königin der Nacht nie wirklich wohl gefühlt habe. Die Zerbinetta liegt mir eher, die Rolle ist weich, flüssig und für eine Sängerin geschrieben. Die Königin der Nacht bedarf fast zweier Stimmen, die lyrische oder dramatische, und dann plötzlich den Wechsel in die Kopfstimme. Ich selbst habe dann im Endeffekt viel Soubrette gesungen. Mit Naturstimme geht alles. Aber nur für eine gewisse Zeit. Wenn man älter wird, muss man genau wissen, was man tut. Stützen heißt ja, die Stimme entlasten. Ich brauchte das ganz früher nicht, weil junge Stimmen eigentlich von alleine laufen und auch der Körper das kompensieren kann. Wenn man älter wird, ist das eine Frage der Kraft und sehr wenige kommen nur damit durch, dass sie einfach drauf los singen.

Besitzt man neben der Naturstimme auch schon die Fähigkeit zur Interpretation?

La Traviata, die ich seit zwei Jahren singe, kann ich jetzt erst richtig erfüllen, besonders, was Aussagekraft und Dramatik betrifft. Ich weiß jetzt auch eher, wie man die vielen Facetten der Stimme einsetzt. Ich liebe die Partie und hätte früher den direkten Zugang noch nicht gehabt. Auch jetzt bei der Gilda bin ich froh, dass ich eine gewisse Reife habe. Aber auch Adele in „Die Fledermaus“ ist ein Charakter und wird leider oft falsch besetzt, nämlich entweder zu piepsig oder mit einem reinen Koloratursopran. Sie ist nicht nur eine Soubrette. Ihre Grundlage ist lyrisch, und ich werde diese Rolle bestimmt immer singen können.

Glauben Sie, man muss erst persönliche Erfahrungen gesammelt haben, um komplexere Charaktere wie Gilda oder Violetta überzeugend darstellen zu können?

Man braucht eine gewisse innere Reife. Man erlebt einfach unterschiedliche Dinge in den Jahren. Andere erfahren das früher, in meinem Fall hat sich die Reife entwickeln müssen. Ich hatte aber auch immer Glück mit den Menschen um mich herum. Ich war von 1992-1997 in Bonn Ensemblemitglied und Gian Carlo del Monaco hat immer genau gewusst, was gut für mich ist. Er gab mir z.B. als erste Rolle die Lauretta in Gianni Schicchi.. Mit Nedda in Pagliacci sollte ich damals noch warten. Eine Nedda wäre ich wirklich jetzt, diese Rolle würde mir sehr liegen.

Lassen Sie sich bei Ihrer Rollenauswahl beraten?

Mein Gefühl sagt mir, dass ich sehr viel singen kann. Ich habe die 9. Sinfonie von Beethoven in Rostock gemacht, obwohl man schwerere Stimmtypen gewohnt ist. Ich habe die Sopranpartie mit Hanna Ludwig angeschaut, und es ging wirklich gut. Sie sähe mich auch eher als Donna Elvira, denn als Donna Anna. Donna Anna würde ich gerne einmal singen, sie interessiert mich sowohl stimmlich als auch vom Charakter. Es sind wunderschöne Bögen vorhanden, lyrische Elemente und so viele Ausdrucksmöglichkeiten. Alles ist in dieser Partie enthalten. Doch bevor ich die Donna Anna interpretiere, sollte ich erst Sonnambula und Lucia di Lammermoor singen.

Werden Sie leicht von Intendanten, Regisseuren oder Dirigenten auf ein Repertoire festgelegt?

Manchmal ist ein gewisses Schubladendenken schon sehr ausgeprägt. Ab und zu wurde ich ins reine Koloraturfach eingestuft, und musste, als ich z.B. die Micaela gesungen habe gegen einige Vorbehalte angehen. Auch, wenn man eine Traviata ziemlich dunkel besetzen will, würde man mich eher nicht nehmen. Aber meine Stimme ist runder und voller geworden, und der Gesamteindruck ist heute ein anderer. Aber selbst wenn jemand einem etwas nicht zutraut, sollte dieser jemand einen zumindest anhören. Es ist schwierig, gegen vorgefasste Meinungen anzutreten, darunter leiden viele junge Sänger heute sehr.

Sie waren von 1992-1997 im Ensemble in Bonn. Hatten Sie die Möglichkeit verschiedene Partien und Charaktere auszuprobieren?

Bonn war ein Idealfall, weil ich dort die besten Partien wie die Sophie (Rosenkavalier) oder Gretel (Hänsel und Gretel) sang. Ich war dort die erste Sängerin und wurde vom Publikum auf Händen getragen. Dass man im Ensemble wirklich über Partien mitentscheiden kann oder gefragt wird ist sehr selten, das ist ein Glücksfall. Diese Möglichkeit hatte ich z.B. in Essen nicht. Manchmal muss man eine Rolle akzeptieren weil kein anderer da ist, das hat dann nichts mit dem eigenen Stimmtyp zu tun. Ich hatte öfter Anfragen von ganz großen Häusern, fest dahin zu kommen. Das Ensemble hat den Vorteil, dass man sein Repertoire bekommen kann, aber oft landet man in vielen kleinen Partien und schafft es nicht, die großen zu lernen, und wenn, dann nur als Cover.

Würden Sie also Sängern raten, nach einem gewissen Zeitraum die Ensembletätigkeit aufzugeben?

Ich hatte Gott sei Dank die Möglichkeit entscheiden zu können, wenn ich nicht mehr bleiben wollte. Das habe ich auch getan. Ich bin in Bonn, Essen und Wien nach einigen Jahren weggegangen. Ich gehe heute offen und unbelastet an jedes neue Engagement heran. Für mich waren die Festengagements, auch die 2 Jahre am Gärtnerplatz, eine gute Zeit, aber ich könnte mir das heute nicht mehr vorstellen. Die Unabhängigkeit, die ich mir erschaffen habe, möchte ich nicht mehr aufgeben. Umso mehr konzentriere ich mich auf Gastengagements und freue mich darauf. Ich freue mich aber auch darauf wieder nach Hause zu kommen, ohne von einer Rolle zu anderen zu hechten.

Verändert sich die Beziehung zum Publikum, wenn man diesem nicht mehr durch Ensembletätigkeit bekannt ist, sondern gastiert?

Das ist eine zusätzliche Herausforderung. Man hat ja den Bonus nicht, dass das Publikum einen kennt und einem wahrscheinlich alles mögliche verzeihen würde. Es ist interessant, zu sehen, wie man angenommen wird, wenn die Menschen einen nicht so gut kennen. Ich habe gerade in Palma de Mallorca die Auszüge aus Lucia di Lammermoor, Tancredi und Rigoletto gesungen. Das Publikum hat wirklich getobt, das ganze Konzert kam sehr gut an. Das war ein wunderbares Gefühl und eine schöne Belohnung. Man muss mit seinen Stärken punkten und kann nur hoffen, dass das klappt. Meistens entwickle ich ein magisches Gefühl zum Publikum, und das ist unendlich schön.

Sie werden auch gerne für TV Shows verpflichtet, z.B. „Lieben Sie Klassik“ mit Justus Frantz oder die Silvestergala des NDR in Kapstadt im Jahre 2001. Wie stehen Sie zu dieser Präsentation von klassischer Musik?

Das ist eine andere Welt und meist Retortenmusik. Ich bin eine „live“ Sängerin, mir fehlt sonst die Authenzität. „Live“ ist natürlich gefährlicher, aber es ist das ursprünglichste Erlebnis, das man als Sänger und Zuhörer haben kann. Beim Fernsehen wird zudem vieles für die Ewigkeit festgehalten, und wenn man mit dem Resultat nicht zufrieden ist, aber Zeit oder Geld fehlen, etwas zu ändern, dann leide ich sehr. Aber ich kann dann auch für ein besseres Ergebnis kämpfen. Außerdem wird das Publikum vollkommen unterschätzt. Oft wird billig produziert, und zu unmöglichen Zeiten gesendet, kein Wunder, dass die Einschaltquoten nicht hoch sind. Und wenn dann manche Redakteure klassische Musik auf das „Brindisi“ reduzieren, ist das traurig.

Sie haben ebenfalls Erfahrung mit großen Open Air Festivals, haben z.B. die Micaela in St. Margarethen gesungen. Gefällt Ihnen dies Ambiente besser?

Ich liebe Open Air Auftritte. Man weiß nie, was auf einen zu kommt aber meistens singt ja jeder Sänger an der frischen Luft besser, als in einem eingeschlossenen Raum. Die Atmosphäre ist auch besser. St. Margarethen ist riesengroß, hat fast 5000 Plätze und war 44x ausverkauft, eigentlich Wahnsinn, ein unglaubliches Spektakel. Als Sänger muss man eine gute Kondition haben, die Entfernungen sind gewaltig. Ich habe viel Open Air gesungen und ich habe das Gefühl, meine Stimme klingt draußen besser. Man darf auch nicht aufhören, selbst wenn es regnet. Diesen Sommer habe ich ein Konzert mit drei italienischen Tenören gesungen, die sangen dann mit Schal und Schirm. Aber es wäre undenkbar für mich, etwa „O mio babbino caro“ mit einem Schirm zu singen.

Stichwort Inszenierung: Welche Aspekte sind Ihnen bei der Arbeit mit einem Regisseur wichtig?

Mir ist nicht wichtig ob einer prominent ist, sondern ob er etwas zu sagen hat, außerdem setze ich mich auch mit jedem Regisseur auseinander. Wenn es plausibel ist kann es ruhig gegen den Strich gehen, aber ich vermisse das heute oft. Im „Fidelio“ habe ich z.B. alles erlebt, was man sich vorstellen kann, und es wurde nicht unbedingt besser. Wenn man drei Monate probt, nur rumsteht und irgendwelche Augenzwinker einstudiert, die niemand auf die Entfernung sehen kann, ist das sinnlos. Ich habe auch nie einen aufwändigen „Fidelio“ gesehen, man tendiert dazu, das Minimalistische auf die ganze Oper zu übertragen. Die beste Version, die ich erlebt habe war eine Regie von Dieter Kaegi in Liège.

Sie haben in Bonn auch mit Jürgen Rose gearbeitet. Hat man als junges Ensemblemitglied noch Mitspracherecht? Und ist die Arbeit mit Regisseurinnen leichter?

Die Arbeit mit Jürgen Rose war sehr interessant, aber auch er hat mich zunächst in eine Schublade gesteckt, für ihn war ich Papagena, also konnte ich nicht Pamina sein obwohl ich diese Partie überall gesungen habe. Dabei habe ich dann beide Rollen gesungen und war noch für die Königin der Nacht geplant. Ich bin manchmal sehr frei und wild, und Rose wollte seine Pamina sehr ätherisch. Dann hat er sich gewundert, dass ich die Ruhe für diese Partie hatte. Mit Regisseurinnen arbeite ich auch gerne. Sie können härter als Männer sein, haben aber auch manchmal den sensibleren Zugang zum Werk. Es tut mir nur immer wieder leid, wenn Musiktexte verändert werden.

Im Konzert- oder Liedrepertoire gibt es diese Probleme nicht. Genießen Sie die Möglichkeit, tun zu können, was Sie wollen?

Ich habe immer gedacht, dass ich nicht der Typ für Konzerte bin. Ich brauche die Szene und Bühne. Mich regt schon auf, wenn ich auf einem Fleck stehen muss, es schränkt mich ein. Obwohl ich im Konzert schon sehr schöne Abende erlebt habe. Zum Neujahr habe ich in München ein Konzert unter dem Titel „Wien, Wien nur du allein“ gemacht, ein wunderschönes Programm. Es war sehr locker, wir haben auch mit dem Publikum kommuniziert. Ich habe auch ein paar Liederabende gegeben und liebe besonders das französische und deutsche Repertoire, also Massenet, Debussy, Strauss oder Wolf. Das ist ein weiterer Weg für die Zukunft. Hätte ich die Wahl, würde ich mich aber immer für die Opernbühne entscheiden. Man kann zwar im Konzert machen was man will, aber mit einem guten Regisseur kann man über sich hinauswachsen. Ich würde mich sehr freuen, jemanden zu finden, der mir meine Grenzen aufzeigt, bei dem ich Dinge erfahre, die ich über mich noch nicht weiß.

Wer könnte das sein?

Ich hätte gerne mit Harnoncourt zusammen gearbeitet, denn ich habe viele gute Dinge von und über ihn gehört. Sinopoli ist leider gestorben, eine Zusammenarbeit war geplant. Was die Regie betrifft, gäbe es für mich viel Neues. Johannes Schaaf z.B. ist ein erstklassiger Regisseur. Auch Thorsten Fischer. Ich habe leider nie persönlich mit ihm gearbeitet, aber in seiner wunderbaren Inszenierung in Köln die Kunigunde in Spohrs „Faust“ gesungen, ein lyrischer Koloratursopran mit dramatischem Aplomb. Auch mit Robert Herzl habe ich viel gemacht, es war immer sehr spannend. Er geht den Figuren auf den Grund, nimmt auch die Operette ernst und will sie nicht umändern. Operette kann man nicht total auf den Kopf stellen.

Gerade die Operette ist eine heitere Musikgattung. Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf am Meisten?

Auch wenn es abgedroschen klingt: Als Sänger hat man so viele Möglichkeiten, Menschen zu erfreuen, das sehe ich jedes Mal von Neuem. Der Gesang ermöglicht unglaublich viele positive Schwingungen, man kann jeden alles vergessen lassen, und man vergisst selbst alles. Man kann über sich hinaus wachsen oder seine Grenzen erfahren. Ich bin auch ein ideales „Opfer“ für die Teilnahme an Charity Konzerten. Man kann einfach mit seiner Stimme viel Gutes tun und als Künstler seinen Beitrag in der Welt leisten.

PressBirgit Beer-williams